Adventsbrief 2022 von Karin Loos, Geschäftsführerin des NTFN e.V.
Ein kleiner Junge kommt unerwartet spät nach Hause.
Als die Mutter nach dem Grund der Verspätung fragt, antwortet das Kind: „Ich habe Julia geholfen – ihre Puppe ist kaputt gegangen“
„Hast du geholfen, sie zu reparieren?“, fragt die Mutter.
„Nein“, antwortet das Kind, „Ich habe ihr geholfen zu weinen.“
aus: Hoppla! Neue Geschichten für andere Zeiten, herausgegeben vom Andere Zeiten e.V.
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter,
Liebe Interessierte,
Während wir im Frühjahr 2022 noch überlegten, wie wir unsere Angebote in den Psychosozialen Zentren noch pandemietauglicher aufstellen konnten, eskalierte im Februar der furchtbare Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und verdrängte damit alle anderen Kriege und Krisen aus der medialen Wahrnehmung.
Für uns bedeutete das zunächst, dass wir in unseren Zentren möglichst schnell qualifizierte Sprachmittler*innen in zwei weiteren Sprachen – Ukrainisch und Russisch – benötigten, und dass die hohe Zahl an Kindern und Jugendlichen unter den Geflüchteten unsere besondere Aufmerksamkeit erforderte. Weiteres zentrales Anliegen war es, die vielen Ehrenamtlichen zu unterstützen, und ihnen Sicherheit im Umgang mit traumatisierten Menschen zu vermitteln. Die mehreren hundert Teilnehmenden und die positiven Rückmeldungen zu unseren Schulungen zeigen, dass diese Unterstützung dringend benötigt wurde. Gleichzeitig kamen dankenswerterweise mehrere Kinder- und Jugendtherapeut*innen auf uns zu und boten ihre Hilfe an, sodass wir unser Kinderteam in kurzer Zeit standortübergreifend ausbauen konnten.
Dabei war und ist es uns ein Herzensanliegen, dass wir keine Unterschiede bei der Herkunft von Geflüchteten machen, dass bei uns „all refugees welcome“ sind.
Der Krieg in der Ukraine geht auch jetzt, Ende November, weiter, auf beiden Seiten steigt die Zahl der Opfer. Auch die anderen Krisen gehen weiter: Die humanitäre Katastrophe in Afghanistan wächst, der Klimawandel bedroht schon jetzt viele Menschen existentiell. Gleichzeitig beweisen die demonstrierenden Menschen im Iran unglaublichen Mut. Ihr Protest gibt Hoffnung, weckt angesichts der brutalen Reaktionen des Regimes aber auch Angst und Verzweiflung.
Mit unserer Arbeit in den Psychosozialen Zentren wollen wir Menschen Lebensmut schenken, sie begleiten, ihnen zuhören, Zeugen des oft beschämenden Schreckens sein und damit Hoffnung geben. Wir wollen den Menschen ein kleiner Zufluchtsort sein, der sie dabei unterstützt, einen inneren Zufluchtsort zu finden.
Das können wir nur dank und mit Ihrer Unterstützung – und daher blicken wir auch zurück auf ein Jahr des überwältigenden Engagements und der Hilfsbereitschaft. Die Zivilgesellschaft hat wieder einmal gezeigt, zu welcher Solidarität sie fähig ist. Wir sind sehr dankbar für die großzügigen Spenden, die uns dieses Jahr erreicht haben. Sie sind immer auch Ermutigung und Wertschätzung für unsere Arbeit und damit auch für die Menschen, für die wir uns einsetzen.
Wir spüren aktuell aber auch, wie dünn das Eis ist und wie wichtig eine Haltung ist, die es nicht zulässt, dass Menschengruppen gegeneinander ausgespielt werden – Menschen, die alle einen Anspruch auf bessere Behandlung haben, ob geflüchtet, armutsbetroffen oder geringverdienend.
Bleiben wir also solidarisch, bleiben wir wachsam und notfalls auch unbequem. Und bleiben wir trotz allem zuversichtlich.
Karin Loos,
Geschäftsführerin des NTFN e.V.
Falls auch Sie den NTFN e.V. unterstützen wollen, finden sie hier den Link um zu spenden.
Man kann eben nicht sagen:
„Es hat nichts mit mir zu tun“.
Nichts, was irgendwo auf der Welt passiert, ist unabhängig von dem, was wir hier machen.
Also schaut hin. Und bleibt laut.
– Enissa Amani