
Adventsbrief 2025 unserer Geschäftsführerin Karin Loos
I never planned to be a refugee
Herr h. (30) aus dem Iran
Liebe Interessierte,
wenn Menschengruppen pauschal zu Feindbildern erklärt werden, dann verändert das nicht nur das gesellschaftliche Klima, sondern es verletzt vor allem und an erster Stelle Menschen. Es verhindert zugleich, dass alle, die hier leben, gemeinsam an den tatsächlichen Problemen unserer Gesellschaft arbeiten: wie Wohnungsnot, anfällige Infrastruktur, unzureichende Versorgungsstrukturen für psychisch erkrankte Menschen, massive Suchtprobleme, Gewalt gegenüber Frauen, zunehmende Einsamkeit.
Zahlreiche Beispiele für die neue deutsche Härte erleben wir in unserer Arbeit in den psychosozialen Zentren. Da ist der syrische Flüchtling, ein durch Folter gebrochener Mensch, der mit dem Sturz des Assad-Regimes zum ersten Mal wieder Hoffnung und Überlebenswillen spürt. Ein therapeutischer Prozess könnte erfolgreich sein. Wie jedoch sollen optimistische Schritte gegangen werden, wenn aktuell unverholen über Abschiebungen in ein Land gesprochen wird, das weiterhin kein sicheres Leben versprechen kann, statt darüber zu sprechen, wie wir diejenigen besser unterstützen können, die zurück gehen wollen.
Wie soll Therapie funktionieren, wenn die Angst über eine mögliche Abschiebung übermächtig wird? Wir stehen fassungslos vor den Scherben, die bewusst und empathielos angerichtet werden.
Hannover wiederum möchte in einer ermutigenden Initiative, an der jüdische und palästinensische Vertreter*innen beteiligt sind, 20 Kinder aus Gaza aufnehmen und hier behandeln lassen. Die Initiative scheitert am Widerstand des Bundes. Zeitgleich müssen sich afghanische Ortskräfte, die nach intensiver Prüfung bereits eine Aufnahmezusage hatten, über mehrere Instanzen das Recht auf Einreise einklagen – weil Versprechen gebrochen werden.
Wie können wir angesichts dieser neuen Dimension von Werteverlust weiter zuversichtlich sein, widerstandsfähig bleiben, nicht resignieren? Wohlwissend, dass Resignation ein Privileg derer ist, die nicht um ihr Überleben kämpfen müssen.
Vielleicht helfen Beispiele für positive Ereignisse oder Veränderungen, mit denen wir nicht gerechnet hätten. Damals als junge Erwachsene hätte ich nicht gedacht, dass wir am 9. November in zahlreich wiederaufgebauten und neuen Synagogen gedenken können und ein vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland haben. Ich hätte auch nicht gedacht, dass ich einmal spontan mit dem Zug nach Dresden fahren und ein Konzert in der Semperoper besuchen kann. Andere Ereignisse, die genannt wurden, war die Wahl eines Schwarzen Präsidenten in den USA, das Wir schaffen das! von Angela Merkel, die Abschaltung des letzten AKWs in Deutschland, die Ehe für Alle, die Fridays For Future-Bewegung, die anfing mit dem „skolstrejk för klimatet” der 15-jährigen Greta, oder die Waffenabgabe der PKK. Vielleicht haben Sie eigene ermutigende Beispiele – denn wir wollen weiterhin auch mit dem Guten rechnen.
Wir wollen mit unserer Arbeit die Welt gestalten, weil wir sie lieben. Dafür brauchen wir auch weiterhin Ihre Hilfe. Lassen Sie uns auch 2026 gemeinsam eintreten für Menschenrechte – mutig und beherzt.
Karin Loos, Geschäftsführerin