Geflüchtete, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben sowie Geflüchtete mit psychischen Störungen gehören nach der EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU zum Personenkreis der besonders Schutzbedürftigen. Das bedeutet, dass sie vor dem Hintergrund ihrer besonderen Bedarfe einen Anspruch auf besondere Verfahrensgarantien haben. Dies betrifft zunächst vor allem das Verfahren als solches (bspw. durch die Hinzuziehung besonders geschulter Entscheider*innen).
Nähere Informationen zur EU-Aufnahmerichtlinie, dem Verfahren zur Früherkennung in Niedersachsen und Handlungsempfehlungen finden Sie hier:
Grundsätzlich gibt es zwei verschiedene Formen von möglichen Abschiebehindernissen aus gesundheitlichen Gründen.
60, 7 AufenthG
1 „Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. 2 § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. 3 Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. 4 Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. 5Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. 6 Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
Mit Stand Februar 2020 müssen Bundesamt und Gerichte bei der Prüfung von zielstaatsbezogenen Abschiebehindernissen aus gesundheitlichen Gründen bezüglich psychischer Erkrankungen nur noch „qualifizierte fachärztliche Bescheinigung“ berücksichtigen. Dieser Ausschluss von Bescheinigungen durch Psychotherapeut*innen hat zur Folge, dass es Geflüchteten erschwert wird, psychische Erkrankungen und deren Behandlungsbedarf im Rahmen des Asylverfahrens einzubringen. Die Bundespsychotherapeutenkammer, die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und unser Dachverband, die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF) haben dies in einer Stellungnahme als fachlich unbegründet kritisiert.
Für die Feststellung der sogenannten „Reiseunfähigkeit“ als inlandsbezogenes Abschiebehindernis durch die Ausländerbehörden gilt die Einschränkung auf fachärztliche Bescheinigungen ebenfalls .
60a AufenthG
(2c) 1 Es wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen. 2 Der Ausländer muss eine Erkrankung, die die Abschiebung beeinträchtigen kann, durch eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung glaubhaft machen. 3 Diese ärztliche Bescheinigung soll insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung, den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10 sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten. 4 Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein.
(2d) 1 Der Ausländer ist verpflichtet, der zuständigen Behörde die ärztliche Bescheinigung nach Absatz 2c unverzüglich vorzulegen. 2 Verletzt der Ausländer die Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor. 3 Legt der Ausländer eine Bescheinigung vor und ordnet die Behörde daraufhin eine ärztliche Untersuchung an, ist die Behörde berechtigt, die vorgetragene Erkrankung nicht zu berücksichtigen, wenn der Ausländer der Anordnung ohne zureichenden Grund nicht Folge leistet. 4 Der Ausländer ist auf die Verpflichtungen und auf die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Verpflichtungen nach diesem Absatz hinzuweisen.
Wenn für unsere Klient*innen und Patient*innen Stellungnahmen benötigt werden oder Gutachten vermittelt werden sollen, ist es unabdingbar, dass wir die ausländerrechtlichen Unterlagen vollständig zur Verfügung haben. Welche dies sind, haben wir in einem Merkblatt für Sie zusammengestellt.
Regelmäßig führen wir Schulungen zur Erstellung von Stellungnahmen und Gutachten nach SBPM-Standards durch (SBPM = Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren). Diese Schulungen werden teilweise durch Mitarbeitende des Bundesamts begleitet, etwa im Rahmen des „Curriculums zur Begutachtung psycho-reaktiver Traumafolgestörungen im Asylverfahren“. Wir informieren Sie gerne über den nächsten Termin. Hinweise zu den Standards finden Sie hier.
Ärztinnen und Ärzte, die Stellungnahmen verfassen, oder Gutachter*innen wollen in der Regel einen Auftrag mit konkreten Fragestellungen. Optimalerweise gelingt es, die Behörden und Gerichte selbst dazu zu bewegen, Gutachten in Auftrag zu geben. Dies passiert jedoch noch viel zu selten. Folgende Fragestellungen können für Stellungnahmen/Gutachten relevant sein: