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04
Jan

Nächtliche Abschiebungen und 3 Jahre eingeschränkte Gesundheitsleistungen – Fatale Folgen für Geflüchtete

Nur wenige Stunden nach der faktischen Abschaffung des Asylrechts auf europäischer Ebene hat sich die Ampel-Koalition öffentlich fast unbemerkt auch noch auf ihr monatelang umstrittenes „Migrationspaket“ geeinigt. Damit droht Menschen, denen trotz der brutalen Abschottung an den Außengrenzen eine Flucht nach Deutschland gelingt, in Unterkünften ständige Unsicherheit durch unangekündigte Durchsuchungen und nächtliche Abschiebungen. Ihr Anspruch auf psychotherapeutische und ärztliche Versorgung soll künftig 3 Jahre lang eingeschränkt werden. Die BAfF fordert alle Gesundheitspolitiker*innen auf, sich im Januar gegen die verlängerten Leistungseinschränkungen einzusetzen und Geflüchteten – wie im Koalitionsvertrag gefordert – unbürokratisch Zugang zum Gesundheitssystem zu gewähren.  

Die BAfF hatte sich letzte Woche gemeinsam mit der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) an Abgeordnete der Ampel-Fraktionen gewandt und in einem Positionspapier auf die fatalen Konsequenzen dieses Vorhabens für die Gesundheit und die ohnehin massive Versorgungskrise hingewiesen. Scharfe Kritik an der bereits heute eklatanten Unterversorgung geflüchteter Menschen gibt es laut einer Anfang Dezember veröffentlichten CORRECTIV-Recherche auch aus der Regierung selbst – auch von der Grünen-Abgeordneten Kirsten Kappert-Gonther, Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Ohne jegliche Verbesserungen zum Schutz der Gesundheit vulnerabler Gruppen – wie auch im Koalitionsvertrag angekündigt – sollen nun aber sämtliche Verschärfungen bereits im Januar vom Bundestag beschlossen werden. 

Welche Folgen drohen für die psychische Verfassung von Schutzsuchenden? 

Die Verschärfungen durch das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“ erlauben es, alle Bewohner*innen von Geflüchtetenunterkünften zu jeder Tages- und Nachtzeit in maximale Unsicherheit zu versetzen, greifen massiv in ihre Privatsphäre ein und werden den Druck auch auf nicht von Abschiebung bedrohte Menschen enorm erhöhen:

Ohnmacht und Angst. Auch wiederholt mitzuerleben, wie andere Geflüchtete aus Sammelunterkünften plötzlich abgeschoben werden, reißt seelische Wunden wieder auf und kann langfristige gesundheitliche Folgen haben – sowohl körperlich als auch psychisch.“ 

Alva Träbert, Referent*in für besondere Schutzbedarfe & Advocacy

Fatale Kompromisse bei den Gesundheitsleistungen 

Eine weitere Verschärfung, zu der bislang weder im medialen noch im politischen Diskurs ärztliche oder psychotherapeutische Expertise konsultiert wurde, erfolgt im ohnehin verfassungswidrigen Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Körperlich oder psychisch erkrankte Asylsuchende und geduldete Menschen sollen künftig 3 Jahre – statt auch bisher bereits 1,5 Jahre – darauf warten müssen, bis sie weitgehend die gleichen Ansprüche auf ärztliche oder psychotherapeutische Behandlungen haben. Die Koalition nimmt dadurch wider besseren Wissens nicht abzusehendes Leid in Kauf, mit dem Unterkünfte, Jugendhilfestrukturen, das psychiatrische Notfallsystem und die gesamte Gesellschaft in den nächsten Jahren konfrontiert sein werden. 

Für geflüchtete Überlebende von Krieg, Folter und Flucht bedeutet dies u.a. 
– die Einschränkung der Versorgung auf “akute Erkrankungen und Schmerzzustände”, durch fachfremdes Personal der Sozialbehörden begutachtet;
– kein flächendeckender und bundesweiter Zugang zu einer elektronischen Gesundheitskarte; 
– ein bürokratisches und hürdenreiches Verfahren zur Ausstellung von sog. Krankenscheinen;
– kein Zugang zu Fachärzt*innen oder Psychotherapeut*innen;
– keine Finanzierung von notwendiger Sprachmittlung in der Gesundheitsversorgung; 
– zusätzliche Belastungen durch lebensunwürdige Bedingungen in Massenunterkünften;

Auch das von der Bundesregierung 2015 im Asylpaket I eingeführte Instrument der Ermächtigung zur psychotherapeutischen Versorgung Geflüchteter wird durch die AsylbLG-Änderung facto außer Kraft gesetzt. Einrichtungen, Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen, die über diese Regelung abrechnen, dürfen Asylsuchende künftig erst nach drei Jahren in die Therapie aufnehmen. Die ohnehin eklatante Versorgungslücke wird sich durch den Wegfall dieser Behandler*innen-Gruppe weiter vergrößern. 

Aus der Praxis der 48 Psychosozialen Zentren für Geflüchtete wissen wir, wie massiv sich psychische Erkrankungen mit jedem Monat längerer Wartezeit zuspitzen können:  

Versorgungskrise mit sich bringen. Bereits heute melden sich in den Psychosozialen Zentren für Geflüchtete jeden Tag Menschen, die unter enormem Leidensdruck stehen und aufgrund des reduzierten Leistungsanspruchs im AsylbLG keine Chance haben, ihre Erkrankungen behandeln zu lassen. Häufig werden Betroffene, die so lange nicht zur Ruhe kommen, auch körperlich krank. Am Ende resultieren daraus höhere direkte und indirekte Folgekosten für das Gesundheits- und Sozialsystem und eine höhere Belastung für die Kommunen”.

Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF

Die Bundesregierung handelt hier mit nicht vertretbarer Kurzsichtigkeit, frei nach dem Prinzip: „Theres no glory in prevention“. Sie nimmt für migrationspolitische Profilierung in Kauf, dass Erkrankungen chronifizieren – und das ohne jede Evidenz für die Wirksamkeit dieser Abschreckungsintention: Hier wird die Gesundheit von Menschen aufs Spiel gesetzt, die in der überwiegenden Mehrheit in Deutschland bleiben, krankenversichert sein und zur gesamtgesellschaftlichen Produktivität beitragen werden.

„Je länger Menschen mit körperlicher Anspannung, wiederkehrenden Erinnerungen an Krieg, Gewalt und Folter kämpfen müssen, permanent Ängste wieder aufflammen und sie aufgrund von Alpträumen nicht mehr schlafen können, desto schwieriger wird es auch, sich auf den Deutschkurs, die Schule oder die Arbeit zu konzentrieren. Daraus wiederum entstehen Selbstzweifel, die ihrerseits die Symptomatik verstärken.”

Jenny Baron, Psychologin, Grundsatzreferentin bei der BAfF

Dabei sind auch die Kosteneinsparungen auf kommunaler und Verwaltungsseite fraglich: Daten aus den Gesundheitswissenschaften legen seit langem nahe, dass der bürokratische Aufwand und die Behandlungsverzögerungen am Ende teurer sind als ein unbürokratischer Zugang über eine elektronische Gesundheitskarte.

Was muss jetzt passieren? 

Die BAfF fordert alle Gesundheitspolitiker*innen auf, sich im Januar für eine Rücknahme der verlängerten Leistungseinschränkungen einzusetzen und Geflüchteten – wie im Koalitionsvertrag gefordert – unbürokratisch Zugang zum Gesundheitssystem zu gewähren. Gemeinsam mit der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) fordern wir: 
– die Rücknahme der Pläne, den Bezugszeitraum der eingeschränkten Gesundheits- und Sozialleistungen auf 36 Monate zu verdoppeln; 
– die Gesundheitsleistungen aus dem AsylbLG herauszunehmen, wie im Koalitionsvertrag gefordert, und Gesundheitsleistungen wie im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen für Geflüchtete gesetzlich zu verankern; 
– die Einführung einer elektronischen Gesundheitskarte für Geflüchtete in allen Bundesländern 
– den Anspruch auf qualifizierte Sprachmittlung im SGB V zu verankern. 

Die vollständige Pressemitteilung und den Homepage Beitrag finden Sie hier: https://www.baff-zentren.org/aktuelles/zum-rueckfuehrungspaket-fachverbaende-schlagen-alarm/

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