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27
Jul

Pressemitteilung der BAfF: Bundesregierung will psychosoziale Unterstützung für traumatisierte Geflüchtete um fast 60% kürzen

Die Bundesregierung will inmitten einer der größten Menschenrechtskrisen unserer Zeit die Finanzierung der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten um fast 60% kürzen. Sie setzt damit die überlebensnotwendige Versorgung für Überlebende von Folter, für Kinder, die Bombenangriffe und sexualisierte Gewalt erlebt haben und für Menschen, die sich in ihren Herkunftsländern für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, aufs Spiel. Angesichts einer ohnehin geringen Versorgungsquote von nur 4,1 Prozent der potenziell behandlungsbedürftigen Personen ist zu erwarten, dass das Kaputtsparen in diesem essenziellen sozialen Bereich für die Betroffenen und die Gesamtgesellschaft fatale Folgen haben wird.

Menschen, die vor Krieg und Unterdrückung aus den Diktaturen dieser Welt fliehen müssen, werden die Folgen dieser extremen Bedrohungs- und Verlusterfahrungen ein Leben lang begleiten. Deshalb haben sie besondere Schutzbedarfe und es ist eine zentrale Aufgabe des Staates, sie psychosozial, gesellschaftlich und gesundheitlich so aufzufangen, dass sie sich so weit wie möglich von diesen einschneidenden Erfahrungen erholen können: „Um nicht nur physisch, sondern auch psychisch überleben zu können, brauchen sie mehr als ein Containerdach über dem Kopf und medizinische Notversorgung. Sie brauchen schnelle, zuverlässige Unterstützung durch Berater*innen und therapeutische Fachkräfte, die wissen, was es bedeutet, mit schweren Traumafolgen und ohne sichere Zukunftsperspektive in einem noch fremden Land anzukommen“, so Alva Träbert, Referent*in für besondere Schutzbedarfe der BAfF.

Die Bundesregierung aus SPD, Bündnis90/Grüne und FDP will im kommenden Jahr für diese staatliche Aufgabe nur noch 7 Millionen Euro ausgeben. Dies stellt eine ernsthafte Gefahr für den einzigen Sektor dar, der traumatisierten Geflüchteten adäquate Unterstützung bieten kann. Die Kürzungspläne treffen auf eine Situation, in der schon jetzt nur ein Bruchteil traumatisierter Geflüchteter versorgt wird. Psychotherapeutische Praxen sind mit der Schwere der Gewalterfahrungen überfordert und können diese Patient*innen-Gruppe nicht geregelt abrechnen.

In den Psychosozialen Zentren (PSZ) finden Kinder, die Ermordungen und sexualisierte Gewalt mit angesehen haben und sich monatelange auf lebensgefährlichen Fluchtwegen zurecht finden mussten, einen Ort, an dem sie für eine Stunde pro Woche durchatmen können. Aber die Wartelisten sind im Durchschnitt 7,2 Monate lang: „Wir müssen schon jetzt drei Viertel der Anfragen für Psychotherapie ablehnen, weil uns Kapazitäten fehlen“ berichtet Heike Martin zur Versorgungssituation bei Refugio München, einem der aktuell größten Psychosozialen Zentren in Deutschland.

Die durch jahrzehntelange Erfahrung gewachsenen Unterstützungsstrukturen sind durch die angedrohten Kürzungen akut gefährdet: „Die Kürzung würde den Abbruch vieler Therapien für Folterüberlebende bedeuten,“ prognostiziert Sabrina Hackmann, die in der Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum auf die Behandlung von Folterfolgen spezialisiert ist.

Die Kürzungen bergen die Gefahr einer Zunahme von unversorgten Krisensituationen und erhöhen die gesellschaftlichen Folgekosten, ergänzt ihr Kollege Eike Leidgens„Jede Woche müssen wir auf Grund unserer begrenzten Kapazitäten entscheiden, wen wir aufnehmen können und wen nicht. In dem Wissen, dass viele derjenigen, die wir nicht aufnehmen, keine andere Versorgung finden und dadurch in absehbarer Zeit nicht gesund werden, die deutsche Sprache nicht lernen und nicht an der Gesellschaft teilhaben können. Die schon jetzt knappen Kapazitäten entgegen den Ankündigungen des Koalitionsvertrages noch weiter zu reduzieren, ist grob fahrlässig“. 

Wenn der Bund sich 2024 aus der Finanzierung der ohnehin überanspruchten Versorgungssituation zurückzieht, droht das Hilfesystem der 47 Psychosozialen Zentren zu kollabieren.

„Die Psychosozialen Zentren müssten Fachkräfte entlassen und Aufnahmestopps verhängen, während in Unterkünften immer mehr Bewohner*innen für Kriseninterventionen in Kliniken eingewiesen werden müssen. Die Kürzungen sind auch gesellschaftspolitisch fatal und zeugen von mangelnder Weitsicht. Die Bildungs- und Berufsperspektiven der Schutzsuchenden werden zerstört und die Folgen werden alle anderen gesellschaftlichen Systeme ein Vielfaches dessen kosten, was im Moment in das Hilfesystem der Psychosozialen Zentren fließt,“ fasst Lukas Welz, Geschäftsleiter der BAfF, die Konsequenzen zusammen, die ab 2024 abzusehen sind, wenn nicht zumindest der aktuelle Status Quo erhalten bleibt.

Die BAfF appelliert an die Verantwortlichen der Bundesregierung, die geplanten Kürzungen zu überdenken und die angemessene finanzielle Unterstützung der Psychosozialen Zentren sicherzustellen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, um die Versorgung und Integration geflüchteter Menschen weiterhin gewährleisten zu können. Nur so kann die Gesellschaft langfristig von der wertvollen Arbeit dieser Einrichtungen profitieren und die Sicherheit und Gesundheit aller gewährleistet werden.

Was jetzt droht:

  • Entlassung von Fachkräften oder Insolvenzen
  • Traumatisierte Geflüchtete verlieren ihren oft einzigen Zugang zu überlebensnotwendiger psychosozialer und therapeutischer Hilfe
  • Zunahme von unversorgten Krisensituationen, Chronifizierung von Erkrankungen, dauerhafte Beeinträchtigungen und zusätzliche Belastungen des Gesundheitssystems

Was es braucht:

  • Eine frühzeitige, zuverlässige psychosoziale und therapeutische Versorgung für Schutzsuchende durch Einrichtungen mit Fachwissen und Erfahrung
  • Eine finanzielle Absicherung der psychosozialen Zentren und ihrer Fachkräfte, wie es der Koalitionsvertrag vorsieht

Die vollständige Pressemitteilung gibt es hier. Weitere Informationen dazu können dem Factsheet entnommen werde.

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