Stellungnahme: Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan retten!
Folgendes Statement hat unser Dachverband BAfF e.V. heute veröffentlicht – gemeinsam mit zahlreichen weiteren Institutionen hat der NTFN e.V. das Statement unterzeichnet und drängt darauf, die Aufnahme von Menschenrechtler*innen und anderen verfolgten Menschen in Afghanistan endlich schnell und zuverlässlich zu ermöglichen.
Bedrohte afghanische Menschenrechtlerinnen dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden. Das Bundesaufnahmeprogramm und weitere Aufnahmemöglichkeiten müssen fortgesetzt, beschleunigt und ausgeweitet werden. Kapazitäten für zivilgesellschaftliche Unterstützung müssen ausgebaut werden.
Drei Jahre nach der Machtübernahme der Taliban sind Menschen in Afghanistan, die sich dort für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben, stärker denn je gefährdet. Menschen, die in allen gesellschaftlichen Bereichen demokratische Werte verbreiteten – etwa als Lehrerinnen,
Journalistinnen, Ärztinnen, Richterinnen, Politikerinnen, Menschenrechtsaktivistinnen und Kulturschaffende – sowie Ortskräfte werden immer stärker verfolgt, willkürlich inhaftiert, gefoltert und hingerichtet. Sie müssen sich unter prekären Bedingungen versteckt halten, um zu überleben.
Für manche Personengruppen ist die Bedrohung besonders akut. Frauen wurden seit der Machtübernahme systematisch aus allen Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen. Mädchen ist der Schulbesuch ab der siebten Klasse verboten, Frauen dürfen weder arbeiten noch studieren oder allein das Haus verlassen. Viele sind von Zwangsehen und brutalen Strafen wie sexuellen Misshandlungen in Haft, Auspeitschungen und Steinigungen bedroht. Die „schwerwiegende, systematische und institutionalisierte Diskriminierung gegen Frauen“ durch die Taliban ist eine Art „Gender-Apartheid“. Queere Personen sind sogar als gesamte Gruppe direkt in ihrer Existenz bedroht, weil die Taliban angekündigt haben, diese Menschen durch Folter, Steinigung oder lebendiges Begraben zu vernichten.
Demokratie muss durch Zivilgesellschaft geschützt werden
Wir möchten unsere Solidarität mit den Menschen in Afghanistan, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben, um demokratische Werte zu verteidigen, ausdrücken. Als zivilgesellschaftliche Organisationen sehen wir es als unsere Pflicht, nicht nur Menschenrechte in Deutschland zu verteidigen, sondern uns auch für diejenigen einzusetzen, die dies in ihrem Land tun. So unterschiedlich die Umstände sind, unter denen wir arbeiten – uns verbindet die gemeinsame Überzeugung, dass ein Leben in Würde für alle erreichbar sein soll. Viele der aktuellen Krisen und Konflikte haben grenzübergreifende Ursachen und müssen deswegen auch grenzübergreifend bearbeitet werden. Gerade am Beispiel Afghanistan lässt sich gut beobachten, welche Folgen drohen, wenn zivilgesellschaftliche Interessen bei der internationalen Zusammenarbeit nicht hinreichend berücksichtigt werden. Es ist fatal, dass das Doha- Abkommen beschlossen wurde, ohne die bereits etablierten Rechte und Freiheiten der afghanischen Bevölkerung zu sichern, obwohl es ein wichtiges Ziel der internationalen Zusammenarbeit war, die Demokratisierung in Afghanistan zu stärken und die Verteidigung der Menschenrechte zu unterstützen. Und obwohl es klar war, dass es dafür unter den Taliban keinen Platz geben würde.
Deutschland hat eine humanitäre Verantwortung
Wenn – wie in Afghanistan – die Lebensbedingungen im eigenen Land zu gefährlich werden, sind Menschen gezwungen, ihr Land zu verlassen. Sie verlassen ihre Heimat und damit die Menschen und Orte, mit und an denen sie ihr Leben bisher aufgebaut hatten. Die Entscheidung, aus dem eigenen Land zu flüchten, wird nie leichtfertig getroffen. Diese Menschen zu schützen, ist eine humanitäre Pflicht Deutschlands. Aufgrund seiner Beteiligung am zwei Jahrzehnte dauernden internationalen Militäreinsatz in Afghanistan hat Deutschland eine besondere Verantwortung gegenüber gefährdeten Afghaninnen, zu der die Bundesregierung sich im Koalitionsvertrag bekannt hat.
Die zu späten und chaotischen Evakuierungen aus Afghanistan nach August 2021 zerstörten zu viele Menschenleben. Weil politische Entscheidungsträgerinnen die Einschätzungen von Expertinnen
vor Ort nicht ernst genug nahmen. Weil die Länder, die am internationalen Einsatz beteiligt waren – auch Deutschland – ihr Versprechen, ihre Verbündete nicht im Stich zu lassen, nicht ausreichend einhielten.
Es braucht sichere Fluchtwege für gefährdete Afghaninnen Wir fordern, dass sichere Fluchtwege für gefährdete Afghaninnen weiterhin ermöglicht und ausgebaut werden, unter anderem über das Bundesaufnahmeprogramm und über Landesaufnahmeprogramme:
● Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan muss in vollem Umfang fortgesetzt und finanziert werden. Ausreisen müssen beschleunigt werden. Neben der Möglichkeit, einen Asylantrag in Deutschland zu stellen, sind solche Programme notwendig, damit besonders vulnerable und gefährdete Menschen auch tatsächlich Schutz suchen können. Personen, die unter anderem aufgrund ihres Alters, ihres Gesundheitszustands, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität besonderen Risiken ausgesetzt sind, neben den ohnehin großen Gefahren auf den Fluchtwegen nach Europa.
● Das Ortskräfteverfahren muss so reformiert werden, dass alle gefährdeten Personen, die für Deutschland gearbeitet haben, Schutz erhalten.
● Der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte muss erleichtert und beschleunigt werden. Aktuell bleiben Familien oft aufgrund bürokratischer Hürden und Personalmangel in den zuständigen Behörden über Jahre getrennt. Diese Barrieren müssen abgebaut werden.
● Abschiebungen nach Afghanistan dürfen nicht stattfinden.
● Damit Schutzsuchende nach Ankunft in Deutschland die notwendige Unterstützung bekommen, ein neues Leben hier aufzubauen, fordern wir zudem einen Ausbau der Kapazitäten für Unterbringung, Beratung und gesundheitliche Versorgung.
Wir dürfen die Menschen in Afghanistan nicht vergessen. Durch unsere Solidarität mit ihnen möchten wir unsere gemeinsamen demokratischen Werte verteidigen.
Dieses Statement sowie eine Liste aller unterzeichnenden Institutionen finden Sie hier